"Er sucht ihn", Teil I
In der Zeit, in der ich mir über meine sexuellen Vorlieben klar wurde, war ich natürlich neugierig. Nein, neugierig ist nicht das richtige Wort, neugierig ist auch ein Tier, das in der Gegend umherschnüffelt. Es war eher … Informationsbedarf. Ja, so muss ich es wohl nennen. Als jüngerer Mensch war ich sehr „verkopft“, musste alles hinterfragen und ergründen (was ja nicht verkehrt ist und was ich auch heute noch so halte). Allerdings ist mir heute klar, dass es Bereiche gibt, in denen ich mich eigentlich nur zurücklehnen und genießen sollte, nicht „warum“ oder „ist das auch richtig“ fragen. Es ist aber immer noch ein Rest von Denken vorhanden, der mich vor Risiken schützt (ein Spruch, den ich angesichts mancher Verhaltensweisen meiner Mitmenschen gerne benutze, lautet „Wenn der Knüppel hart wird, wird die Birne weich“…)
In der Zeit also, von der ich Euch jetzt erzählen möchte, hatte ich Informationsbedarf. Und so las ich alles Einschlägige, was ich in die Finger bekommen konnte. Unter anderem gab es da ein Szene-Magazin, das ich mir immer am Bahnhofskiosk holte. In diesem Magazin gab es Kontaktanzeigen jeglicher Coleur, also auch – was mich rasend interessierte – „Er sucht ihn“. Da gab es was für alle Männer, die etwas in der Richtung suchten – was es auch immer war. Die reinen Sex-Gesuche („unkomplizierte Wichskontakte gesucht“, „Will einen Schwanz für meine geile A…“) stießen mich eher ab.
Nein, wonach ich Ausschau hielt, waren eher die romantischen, quasi „rosafarbenen“ Annoncen in der Art „Unerfahrener Er sucht einfühlsamen Gespielen, der ihn in die Freuden der homoerotischen Zärtlichkeit einweist“ oder „Wer möchte mit mir die Freuden der schwulen Liebe erleben?“ Nun war es nicht so, dass ich wirklich vorhatte, mich auf eine der Anzeigen auch mal zu melden. Es war – so redete ich mir jedenfalls ein – einfach nur … ja, eben Informationsbedarf.
Jeden Monat kaufte ich mir die neue Ausgabe und stürzte, wann immer ich dazu kam, auf die Rubrik „Er sucht ihn“. Und jedes Mal, wenn ich wieder einen Text fand, der mich ansprach, wurde die Neugierde größer. Sollte ich doch mal hinschreiben?
Was mich zögern ließ, waren die Offerten mit Chiffre-Angabe. Wenn jemand nicht wenigstens ein Postfach angegeben hatte, war ja alles denkbar. Man stelle sich nur mal vor, ein Nachbar oder jemand aus dem Bekanntenkreis oder gar – bewahre mich! – aus dem Verwandtenkreis hätte dort ein Gesuch veröffentlicht, und dann liest er meine Antwort! Schließlich muss ich mich ja zuerst zu erkennen geben.
Da waren schon die interessanter, die – wie gesagt – Antwort an ein Postfach oder gar eine Telefonnummer erwarteten. Die waren wenigstens ein geringes Risiko eingegangen.
Eines Abends schließlich – ich war länger in der Firma geblieben, also allein – griff ich tatsächlich zum Telefon. Eine Formulierung hatte meine Aufmerksamkeit geweckt: „Zärtlicher Flötist such Instrument zum Verwöhnen“. Schon beim Lesen der Anzeige spürte ich ein angenehmes kribbeln in allen möglichen Regionen meines Körpers (vor allem in den unteren). Eine Telefonnummer war angegeben, und so traute ich mich.
Er meldete sich nach einigen Sekunden des Klingelns: „Hallo, hier ist Georg“. Mein Hals wurde trocken. Was für eine Stimme! Schauer zogen mir den Rücken hinunter. Nach einem Räuspern meldete auch ich mich: „Ja … äh… hier bin ich … ich meine, hier ist Sven. Ich habe Ihre Anzeige gefunden in der „H……….“. Ich bin auch Flötist … äh … habe auch eine Flöte …“ Er lachte leise, nicht verletzend. „Hi Sven, schön, dass du anrufst. Das hast du wohl noch nicht so oft gemacht, oder?“ – „Nnein, ich … das … das ist das erste Mal…“. Ich Dämlack! Ich benahm mich wie ein Idiot! Aber das merkte Georg nicht. Oder ging er einfach aus Takt darüber hinweg? Jedenfalls kam seine freundliche, Vertrauen erweckende Stimme zurück: „Also, zuerst: „Sie“ gibt es nicht. Wir sagen natürlich „Du“ zu einander. Und dann: Gratuliere! Du hast dich getraut, mich anzurufen. Das finde ich sehr schön.“
Das weitere Gespräch lasse ich hier mal weg, es interessiert eh keinen, was wir so für persönliche Daten austauschten. Jedenfalls kam nach einiger Zeit das Thema „Musizieren“ ins Spiel. Seine Vorliebe, so gestand mir Georg, war das Blasen, Flöte spielen eben. Und ebenso gerne wollte er, dass mit seinem „Instrument“ gespielt würde. Ich fand, dass mich das mich schon anmachte. „Wie halten Sie … hältst du es denn mit ‚Safer Sex’?“ fragte ich, meine neu erworbenen Vokabeln erstmals vor Anderen aussprechend. „Das ist für mich überhaupt Vorbedingung“, meinte Georg.
Nach einiger Zeit des Gespräches kamen wir überein, uns erstmal „auf neutralem Gebiet“ zu treffen, um dann zu entscheiden, ob wir uns einen intimen Kontakt vorstellen konnten. Georg kam aus einer kleineren Stadt nördlich der Großstadt, in der ich wohnte. Da er – wie ich – Saunagänger war, schlug er vor, nach dem ersten Treffen irgendwo im Grünen, wenn wir denn beide wollten, „es“ in einer schwulen Sauna zu machen. Dort könne man alles miteinander verbinden: Körperreinigung, Sauna-Bad, um dann – in den dort üblichen Kabinen – „zur Sache“ zu kommen.
Und so geht’s weiter:
Nach unserem ersten Treffen, bei dem wir uns durchaus sympathisch – ich ihn auch sehr attraktiv – fanden, verabredeten wir uns für die folgende Woche in einer schwulen Sauna, die er kannte und auch wohl zu frequentieren pflegte.