Story: Zarte Knospen, harte Stiele

Wie jedes Jahr, wenn der Winter Abschied nahm, machte ich mich auf den Weg zu der Gärtnerei, die von mir Zuhause zu Fuß in gut 15 Minuten zu erreichen ist. Als ich dort ankam und das große Glashaus betrat, begrüßten mich der etwa 55-jährige Gärtner und seine beiden netten Töchter, beide unter dreißig, mit einem freundlichen Lächeln. Ich lächelte Freundlich zurück und bedeutete ihnen mit einer unmissverständlichen Geste, dass ich mich etwas umsehen wolle.
Ich hatte gerade einen Topf junger Narzissen in der Hand, da hörte ich, dass eine Frau mit einem leisen "Hallo" die Gärtnerei betrat. Auch sie hatte sicher vor, den Winter mit ein paar hübschen Blumen endgültig zu vertreiben. Als sie aus etwa zehn Metern Entfernung den Topf mit den Narzissen in meiner Hand sah, setzte sie sich umgehend in Bewegung und kam schnurstracks auf mich zu.

Das sind meine Narzissen, die kriegst du nur über meine Leiche, dache ich bei mir. Doch ich hatte Glück. Richtig Schwein hatte ich, denn sie hatte scheinbar nicht vor, mich wegen ein paar Narzissen umzubringen.

"Die sind aber schön", schwärmte sie, als sie vor mir stand. "Die Knospen sind noch ganz zart und die Stiele sind auch noch ganz dünn." Scheinbar bin ich leicht rot geworden, denn sie schwenkt um. "Sind Sie auch so froh, dass der Winter, der in meinen Augen heutzutage gefühlt mindestens ein halbes Jahr dauert, vorbei ist und die Natur wieder zu neuem Leben erwacht.

"Ja", erwiedere ich. "Alles fängt wieder an zu sprießen und zu blühen, nur bei uns Menschen noch nicht." Sie sieht mich mit engen Augen an. "Na", sage ich und lächle, "die Bumen fangen jetzt an zu blühen und sprießen, nur bei uns Menschen dauer es noch bis Mai, bis wir wieder aufblühen und Frühlingsgefühle bekommen."

Sie sieht mich erstaunt an. "Warum bis Mai warten, bei mir fangen sogar manche . äh . Dinge, im Winter an zu sprießen."

"Oh, schön. Da haben sie wohl ein glückliches Händchen. Was sprießt denn so bei Ihnen zu Hause?"

"Alles, was ich in die Hand nehme. Und wenn das nichts nützt, nehme ich den Mund zuhilfe."

Wenn ich ihr jetzt sage, was ich denke, bringt sie mich wirklich um! "Haben Sie einen Grten oder einen Baklon?", frage ich schnell. "Ich habe leider keins von beiden."

"Oh, das ist aber schade. Ich habe wenigstens einen Balkon, aber auf den kann ich jetzt noch keine Blumen rausstellen. Nachtfröste und so."

Ich nicke und sage ihr, dass ich Kälte genauso wenig mag wie blühende Pflanzen, wenn man sie jetzt schon ins Freie stellt. Ich kann ihren Blick schlecht deuten, aber er ist alles andere als abweisend.

"Wollen Sie . willst du meinen Balkon mal sehen", fragt sie mich und verrät mir dabei ihren Vornamen. Y annina. "Da du dich scheinbar mit Pflanzen auskennst, könntest du mir dabei gleich ein paar Tipps geben. Zum Beispiel welche Blumen gut miteinander können und wo man aufpassen sollte."

Ich liebe Blumen, kenne mich aber nicht gut aus . was Blumen angeht. Bin ja schließlich kein Gärtner. Aber dennoch nicke ich und frage sie, wo sie wohnen würde und wann ich zu ihr kommen solle. Morgen um 3, also um fünfzehn Uhr. Würde mir gut passen, da hätte ich noch nichts vor. Ich zwinkere ihr noch zu, dann gehe ich mit meinen Narzissen zur Kasse, zahle, drehe mich noch einmal um und grinse, da sie mit zum Abschied zuwinkt und einen Handkuss zuwirft. Was eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre.

Achtung. Die Story ist hier noch nicht zu Ende und wird morgen weitergeschrieben.