Entscheidung
Als er die Straße betrat blies ihm ein eisiger Wind ins Gesicht und vertrieb den Geruch von Zigarettenrauch und schalem Bier aus seinen Kleidern. Er atmete tief ein und schlug seinen Kragen hoch. Die Straße hatte etwas gespennstisches an sich. In fast jedem Fenster war das bläuliche Flackern eines laufenden Fernsehers zu sehen Fast wie die Kulisse eines düsteren Sciencefiction-Films tauchte es die alten Fassaden in ein unwirkliches Licht. Es war, als sei er mit dem Übertreten der Türschwelle in eine andere Welt geschleudert worden.
Drinnen war es warm gewesen. Etwas stickig und überfüllt, zugegeben, aber er mochte die warme Decke, die die vielen Stimmen über einen Raum legten. Er hatte mit Freunden geredet, gelacht und getrunken. Irgendwann hatte sie sich zu ihnen an die Bar gestellt. Zunächst nur um auf ihr Bier warten, aber ein Wort gab das nächste und sie blieb. Später ging einer der Freunde, dann der nächste und schließlich waren nur sie beiden und das nächste Bier am Tresen zurückgeblieben.
Sie war recht klein, dachte er, aber ihre Brüste zeichneten sich verheißungsvoll unter dem dünnen Wollstoff ihres Pullovers ab. In Gedanken hatte er von Beginn an seine Hände über die warme Haut gleiten lassen, die Rundungen erkundet. Er spürte, wie sie sich an ihn schmiegen würde, erahnte ihre Lippen auf seinen. Wenn sie lachte und ihr Haar zurückwarf, konnte er den weichen Geruch wahrnehmen und fast spürte er bereits, wie seine Hand sich in ihnen festhielt, während er sich an sie drängte.
Er spürte ihre Blicke auf seinem Körper und spannte unwillkürlich seine Muskeln etwas an. Er fühlte sich jung und begehrt und fragte sich, wonach sie sich wohl sehnte. Ob sie sich ausmalte, ihre Hand in seine Hose gleiten zu lassen? Er nahm den letzten Schluck aus der Flasche. In ihrem Blick lag das Einverständnis, dass sie ohnehin mit jeder Bewegung gezeigt hatte. Er genoss diesen Blick. Die Entscheidung lag bei ihm.
Er schloss seine Wohnungstür auf und ging direkt ins Schlafzimmer, ließ seine Kleider zu Boden fallen und schlüpfte unter die Decke. Warme, vertraute Haut empfing ihn. "Wie war's denn?", fragte seine schlaftrunkene Frau. "Schön", sagte er und legte seinen Kopf auf ihre Schulter.
Sie hatte verstanden, als er seine Jacke nahm, um die Bar zu verlassen und gelächelt. "Vielleicht sehen wir uns ja hier irgendwann mal wieder", hatte sie ihm zugehaucht. "Ja, vielleicht. Würde mich freuen." Und er spürte beim Öffnen der Tür, wie sich auf seiner Wange zum Abschied ein Kuss angefühlt hätte.