"Klar, gute Idee! Ich frag gleich morgen mal meinen Vorarbeiter."
Innerlich zweifelte ich ob die Idee tatsächlich so gut war, ich hatte mich mittlerweile an das schöne Gefühl mit ihr hinten drauf durchaus gewöhnt. In meiner Ansicht waren Frauen als Zierde für den Rücksitz wesentlich geeigneter, noch dazu wenn wie bei Misaki die langen Haare sorgsam zu einem Zopf gewunden am Rücken baumelten.
So stand also drei Wochen später eine Holzkiste im Hof vor der Garage. Mit zwei großen Schraubendrehern begannen wir die Holzplatten aufzuhebeln. Langsam wurde ein Motorrad sichtbar auf einem provisorischen Lattengestell, wild in Luftpolsterfolie eingewickelt. Auch diese wich dem Teppichmesser.
"Mensch, das ist ja eine echte RS 400!"
"Sagte ich doch."
"Schon! Replika's gibt's viele. Aber die ist Original! Eine V4!"
"Ja, eine von vielleicht 80 Stück."
"Wo hast du die Kohle her? Die kostet minimum 90.ooo Euro?"
Misaki zuckte nur lässig mit den Schultern. "Ich hab sie so bekommen, das ist eine lange Geschichte."
Ich begann zu suchen. "Wie willst du die auf der Straße fahren? Die hat ja weder Licht, noch Blinker oder Spiegel. Und Slikreifen! Gut, Reifen mit Profil können wir hier besorgen, aber das andere?"
"Schau mal in dem Karton da, ich sagte sie sollen mir alles mitschicken was man für die Straße braucht. Wir müssen nur noch montieren. Hilfst du mir, Mike?"
Ich wühlte in einer großen Schachtel. "Hier ist ja sogar ein Nummernsc***d mit dabei! Original Japan, das versteht hier garantiert keiner. Und ein kompletter Kabelbaum, eine kleine Batterie, Lichtanlage. Das wird ziemlich Arbeit. Wir warten bis Konrad heute Abend kommt, der ist Elektriker und kennt sich aus mit sowas."
Wir bastelten noch bis spät in die Nacht. Dann der Moment der Probefahrt. Kanister Sprit in den Tank. Zündschlüssel oder gar Lenkschloss war nicht, nur ein mit einer roten Klappe abgedeckter Schalter, wie bei einem Kampfjet.
- Klak -
Die Lichter des kleinen zentralen Instruments gingen an. Kein Tacho, kein Drehzahlmesser, nur ein kleines LCD-Display und mehrere farbige Lampen, wahrscheinlich ein Schaltblitz. Ich suchte den Starterknopf.
Misaki grinste: "Da kannst du lange suchen. Das ist eine originale RS, die hat keinen Starter. Schieben bitte!"
Sie setzte sich auf den schlanken Sitz, drückte einen Gang rein, zog die Kupplung. Konrad schob sie paar Schritte an, die profillosen weichen Sliks schmatzten klebrig auf der Straße. Misaki hüpfte auf den Sitz und ließ gleichzeitig die Kupplung kommen. Keine Frage, die weiß wie sowas geht!
Sofort bellte der V4 seine unregelmässige Zündfolge in die laue Nacht. Wow! Sowas von Sound! Nicht übertrieben Laut, keine Lichter gingen in der Nachbarschaft an. Es war mehr wie das aggressive Fauchen einer Wildkatze. Gierig drehte der kleine Motor blitzartig bei jedem Gasstoß hoch, es dauerte etwas bis die Vergaser ohne Kaltstartanreicherung einen stabilen Leerlauf ermöglichten. Misaki fuhr paarmal leise die Straße auf und ab, wechselte in die Seitenstraßen. Hinter den Häusern hörte man sie kaum. Unglaublich dass dies ein hochgezüchtetes Rennmotorrad sein soll.
Als sie wieder kam sah man zuerst ihre Zähne vor dem Scheinwerfer. Sie grinste bis zu den Ohren.
"Können wir morgen noch normale Reifen beschaffen? Denn ich denke dass diese hier nicht mal bis zum Stausee halten werden."
"Klar Misaki, können wir. Du würdest mit diesen Schlappen auch nicht die erste Verkehrskontrolle überstehen." Sie ging absolut davon aus uns auf der nächsten Tour auf eigenen Rädern zu begleiten.
So hatten wir immer mehr Berührungspunkte im Alltag, immer mehr gemeinsam zu Reden, zu Beschaffen, zu Planen. Plötzlich merkte ich wie nah mir Misaki geworden ist. Klar habe ich viele Kumpels und auch paar gute Freunde. Sie jedoch ist mehr als Freund. Misaki ist genau die Mutter oder der Vater, die ich mir so sehnlich wünschte. Immer ein offenes Ohr, für alles einen guten Rat. Trotzdem total Cool und unkompliziert, oft etwas durchgeknallt.
Auf einmal tat es mir Leid wenn ich mich Abends von ihr verabschiedete, auch wenn ich sie am nächsten Tag wiedersehen sollte. Ertappte mich sogar häufiger dabei des Nachts ins Haus hinein zu Lauschen ob mein Dad sie vielleicht poppt. Ich mein sie sind Verheiratet, es wäre sein gutes Recht. Trotzdem hätte es mich gestört. Mein alter gelangweilter Dad und diese Gottheit von Frau. Eigentlich müsste Misaki unbefleckt bleiben. Ich weiß, das klingt jetzt voll bescheuert. Aber ich empfand es eben so.
Mein Dad zog sich in dieser Zeit immer mehr zurück. Ich vermute er hat sich mit dieser neuen Ehe psychisch etwas übernommen. Zu verlockend war für ihn die junge schöne Frau. Er übersah dabei jedoch seinen Einzelgänger-Charakter. Den kann man vielleicht eine Zeit lang unterdrücken, jedoch niemals ganz Ablegen.
Und Misaki ist schön. Unglaublich schön. Exotisch schön. Sie zieht sich immer Flott, trotzdem irgendwie konservativ an, niemals Nuttig oder so. Der Rock immer lang genug, Blusen nie durchsichtig, Hosen nicht Hauteng. Aber sie hat was. Man sieht sie gerne an. Ihre höfliche Zurückhaltung, sie drängt sich niemals in den Mittelpunkt, auch wenn sie das eigentlich in einer Horde spätpubertierender Jungs eigentlich wäre.
Die erste größere Ausfahrt ging dann von Freitag bis Sonntag wohin? Na Klar, klassisch an den Gardasee zum Pizza-Essen. Am Freitag nachmittag Sechs Stunden Fahrt, durch das kleine Volk der Raubritter hindurch und schon ist man im Land der Träume. La dolce Vita. Coole Stimmung, guter Wein, leckerstes Essen, entspannte Leute und unzählige verschlungene kleine Passstraßen. Die Jungs gingen auf den Campingplatz, Misaki kann außer einem kleinen Rucksack sonst keinerlei Gepäck auf ihrem Moped mitnehmen, suchte sich deshalb eine einfache Pension gleich in der Nähe.
Ich selber war etwas unentschlossen, wollte einerseits mit den Jungs im Zelt bleiben um nicht als Muttersöhnchen verschrien zu werden, Männer in diesem Alter können bei sowas grausam und penetrant sein. Andererseits, eine Toilette und Dusche im Zimmer, ein brauchbares Bett und wenn es nur das Sofa wäre. Beide Optionen ließ ich mir offen, wollte eben kurzfristig nach Situation entscheiden, deponierte meinen Tankrucksack einstweilen bei Konrad im Zelt. Die erste Nacht schlief ich dann auch im Zelt.
Die mopedfreie Zeit am Samstag verbrachten wir alle zusammen am Campingplatz, misstrauisch beäugt vom rastlosen Platzwart, der ständig seine Runden mit dem alten Klapprad drehte. Aber die meiste Zeit waren wir eh unterwegs. Misaki war jetzt nicht mehr zu bremsen. Am Tag zuvor bei der Hinfahrt noch mitleidig belächelt wegen ihrer kleinen 400-er zeigte sie bald wo der Hammer hängt. Bei der Anreise wollte sie offensichtlich einfach noch ihr Material schonen oder den Motor einfahren, nicht jeder erkennt so etwas, viele pubertierende Jungs deuten sowas als Feigheit oder als Sonntagsfahrerin.
In den Bergen selbst sah man sie nur kurz noch von Hinten, Misaki kam erst wieder in Sicht als sie an der nächsten Kreuzung wartete weil sie den Weg nicht weiter wusste. Die Jungs waren irritiert. Das soll eine 400-er sein? Ok, von der Größe her und vom Klang ist es ein kleines Moped. Aber warum kamen sie mit ihren 1000-ern einfach nicht ran? Auf den kurzen Geraden fuhren sie manchmal noch nebenauf. Zwei Kurven später war sie weg. Was zum Teufel hat dieses kleine Ding eigentlich Leistung? Wieviel dreht die? 18.ooo Umdrehungen? Und das blitzartig. Der anfängliche Spott wich Ehrfurcht.
Armin wollte es nicht glauben, bat Misaki beim Mittagessen ob sie nichtmal für eine Stunde die Mopeds tauschen könnten. 400-er gegen Feuerklinge. Misaki willigte ein. Die Folge war dass Armin wegen dem wendigeren und leichteren Moped nun auch etwas flotter wurde, an Misaki kam trotzdem keiner mehr heran. Man sah jetzt nur besser wo sie lang gefahren war, in nahezu jeder Kurve waren tiefschwarze Striche vom Driften und Beschleunigen, Armin begann zu Bereuen und hoffte dass er mit diesen Gummis noch bis Deutschland kam. Irgendwann gaben sie es kollektiv auf ihr auch nur Ansatzweise folgen zu wollen.
Gegen Einbruch der Dunkelheit kamen wir zurück an den Campingplatz. Zuerst Misaki, fünf Minuten später die Jungs mit mir, zwei Minuten dahinter ein lilafarbener Alfa Romeo mit weisser Aufschrift: Polizia Municipale. Die beiden Sherriff's sprangen aufgebracht heraus, schrien aufgeregt:
"This is Italy. Not Amerika. No Superbike!" wild fuchtelte der Polizist aufgebracht mit seinen weissen Handschuhen und einem weissen Schlagstock. Energisch wollen beide wissen wer wie ein geisteskranker mit diesem Motorrad da (dabei deuteten sie auf die Feuerklinge) über einen halben Kilometer auf dem Hinterrad über die Landstraße fuhr. Sie wollten den Fahrer direkt aufhalten, sind aber nicht nachgekommen. Die Jungs grinsten, so erging es ihnen schon den ganzen Tag.
Misaki meldet sich. "Sorry Sir, i was!"
Signore Polizia zweifelt. Sie soll niemanden schützen, sie soll sagen wer wirklich gefahren ist.
"Ich!" sagte Misaki.
Weiteres Zweifeln. Wenn sie jetzt weiter lügt dann bekommt sie eine Strafe wegen Behinderung der Justiz und Falschaussage. Wem gehört dieses Motorrad da? Armin trat vor.
"Das macht dann 250 € Penalty! Oder wir beschlagnahmen das Motorrad!"
Eilig holte Misaki ihre Brieftasche aus dem Rucksack und bezahlte die geforderte Summe. Quittung bekam sie keine, bestimmt hatten die das vor lauter Aufregung "vergessen".
"Ihr Deutsche seid so Helden, müsst euch hinter einer Frau verstecken!" ätzte der ältere der Polizisten auf Englisch, wie er das Geld in seiner weissen Umhängetasche verstaute.
"Wir haben wenigstens keinen BungaBunga als Präsidenten und unsere Soldaten haben die Absätze nicht an der Stiefelspitze." den letzten Einwand auf Deutsch aus dem Hintergrund verstanden sie entweder nicht oder ignorierten es. Vielleicht besser so.
Der Abend verging dann mit äusserst ausgelassener Stimmung in der Pizzeria des Campingplatzes. Misaki saß neben mir, wirkte ausgesprochen Glücklich. Scherzte, Blödelte. Hauptthema waren natürlich die zwei Polizia's. Der Spruch: "This is Italy. Not Amerika. No Superbike!" wird wohl in die Analen eingehen.
Das Verhalten der Jungs gegenüber Misaki veränderte sich Deutlich. Sie war nicht mehr nur das hübsche Beiwerk, die zum Anglotzen geduldete Sozia. Sie hatten echte Ehrfurcht vor ihr. Misaki bog immer wieder vom Thema ab und nahm sich aus dem Mittelpunkt heraus wenn die Jungs sie neugierig nach ihrer Vergangenheit befragen wollten.
"Ich bin eben ein Naturtalent und bin in meiner Jugend mal den Sonda-Markenpokal zur Nachwuchsförderung mitgefahren." der Versuch einer bescheidenen Erklärung. Nur warum glaubte ihr das Niemand? Warum war ihre 400-er fast schneller wie eine serienmässige 600-er? Warum waren die Reifen so breit wie bei einer 750-er, die Bremsscheiben aus Keramik so groß wie Kanaldeckel und die Einarmschwinge war dick wie ein Unterarm? Schnellwechsler an den Radnaben? Carbonverkleidung? Alurahmen? Vergaser so dick wie Dachrinnen? Zweifel über Zweifel und keine plausiblen Antworten.
Die anderen Jungs genossen den Wein, hatten kaum Hemmungen wegen dem kurzen Heimweg ans Zelt. Ich mag Wein nicht ganz so gerne, hielt mich auch wegen meiner Stiefmutter etwas zurück. Mein Vater muss ja nicht alles Erfahren. Bald zogen sich alle zurück. Fast alle. Nur Misaki war noch munter.
"Was machen wir jetzt? Zum schlafen ist es noch viel zu Früh." Die Frau ist voller Energie.
"Hmm, keine Ahnung?"
"Würdest du noch mitkommen zum Tanzen? Ich dachte am Ortseingang direkt unten am See eine Disco gesehen zu haben?"
Eigentlich war ich wenig begeistert, wollte Misaki aber auch nicht alleine auf die italian Stallion loslassen. Sagte zögerlich zu.
"Gut, ich gehe kurz ins Zimmer zum Umziehen. Treffen wir uns in 20 Minuten vorne bei der kleinen Kirche?"
Zustimmendes Nicken. Das Moped ließ sie im Pulk bei den Jungs stehen. Ich war schnell umgezogen, eine kurze Dusche im Sanitärhäuschen. Konrad schnarchte im Zelt Laut vom vielen Wein, nicht sehr einladend. Langsam schlenderte ich die Hauptstraße entlang, viele junge Leute kamen mir ausgehfertig entgegen. Komischerweise interessierten mich die anderen Mädchen kaum, obwohl diese sehr sommerlich gekleidet waren.
Dafür interessierte mich Misaki, welche soeben im dichten Verkehr die Straße überqueren wollte. Aber bei so einer Signorina halten selbstverständlich alle Italiener. Misaki war ebenfalls sehr sommerlich gekleidet. Gut, sie hatte ja nicht mehr Platz in ihrem kleinen Rucksack als für Zahnbürste und für dieses Bisschen von Klamotten, versuchte ich mich zu Beruhigen. Boahhh, einfach Boaahhhh!
Sonst immer mit ihrer Garderobe so dezent auf Understatement bedacht stand sie vor mir, ich musste im Laternenlicht mit Gewalt meinen Blick in ihr Gesicht zwingen. Sie trug nun einen ziemlich engen schwarzen Minirock, ein knappes weisses Top mit zierlichen Trägern und Bauchfrei. Über Unterwäsche kann ich jetzt nicht spekulieren, zumindest zeichnete sich nichts durch die engen Stoffe durch. Dazu ziemlich hohe weisse Sandaletten, nur ein schmales Riemchen über die Zehen und ein Fesselriemchen mit kleiner Schnalle. Trotzdem konnte sie Halbwegs damit laufen.
Die Jungs hätten bei diesem Anblick wohl zu sabbern begonnen. Ich hatte etwas Einschränkungen beim gehen, denn meine Aufmerksamkeit galt mehr meiner Stiefmutter als dem etwas unebenen Untergrund des Fußweges.
Nach ein paar Minuten passierten wir eine Steinmauer, Misaki regte an uns etwas zu setzen. Wir liessen die Beine und die Seelen auf der Seeseite baumeln. Meine Stiefmutter sah Sehnsüchtig über den dunklen See und auf die Schatten der Berge gegenüber, der Mond ließ die kleinen Wellen im Wasser Lichtreflexe zaubern.
Ich sah gierig möglichst unauffällig auf ihre Beine und Füsse. Die strammen Rundungen der Beine, der viele Sport formte eine knackige Figur aus. Ihre kleinen Füßchen mit den filigranen Knabberzehchen, die Nägel mit einem Zartrosa lackiert. Die zierlichen hellen Schuhe in starkem Kontrast zu ihrer leicht dunkleren Hautfarbe.
Misaki sinnierte laut vor sich hin, ich hörte nur auf ihre schöne Stimme, der Inhalt ging irgendwie an mir Vorüber. Sie erzählte irgendwas über den Tag, wie Wohl sie sich gefühlt hätte. Die Jungs seien echt in Ordnung und ich behandle sie mit soviel Respekt. Wenn nur mein Vater ihr auch so viel Aufmerksamkeit schenken könnte. Irgendwann lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter, ich wurde noch Nervöser.
"Sag mal Misaki, wie hast du meinen Vater eigentlich genau kennengelernt? Ihr seid ja schon ziemlich Unterschiedlich?"
"Interessiert dich das wirklich?"
"Sonst hätte ich nicht gefragt. Vielleicht will ich auch mal so eine Frau kennenlernen?"
Misaki lächelte, sah zu mir auf.
"Deinen Vater lernte ich kennen weil dieser GPS Systeme vertreibt, zur genauesten Zeitmessung und als Tracking-system. Ich war beeindruckt über die leichte sorglose Lebenseinstellung deines Vaters, amüsierte mich weil dein Vater keinerlei falschen Respekt vor meinem Vater, dem großen tollen Team-Manager zeigte. Dein Vater war Höflich aber kein Kriecher. Sprach auch mal dagegen wenn es schlicht geboten war. Das vertrug mein Vater am allerwenigsten, wenn seine Autorität öffentlich in Frage gestellt wurde. Aber er konnte nichts dagegen machen, sogar seinem Verlangen den ungeliebten Mitarbeiter abzulösen wurde von der Zentrale nicht nachgekommen."
"Aha, jetzt weiß ich auch mal wie mein Alter sein Geld verdient."
"Ich hatte mich dann ein klein wenig verschaut in den so unkonventionellen Mann aus Europa, der schien sehr viel freier und fröhlicher zu Leben, ohne Zwang, wenig Druck. Er schien so unbefangen und Frei. Ich wollte auch nach Europa, dort wo mich niemand kannte, endlich mal richtig Leben. Damals hatte ich eine sehr schwierige Zeit, dein Vater half mir aus einer Krise."
"Misaki, du sagtest irgendwann mal du hättest Schuld auf dich geladen. Hat es damit zu Tun?"
Sie zögerte lange. Sehr lange. Ein kritischer fragender Blick zu mir.
"Bleibt es unter uns?"
"Alles was wir reden bleibt unter uns. Außer deinen Eskapaden mit der örtlichen Polizia."
Misaki kicherte, dann besann sie sich wieder. "Willst du alles hören?"
"Alles was du von dir aus willst. Es interessiert mich."
"Ich hatte früher einen Bruder. Haruto."
"Das hörte ich schon mal Irgendwann."
"Wir waren Zwillinge, ähnelten uns ziemlich. Viele gleiche Interessen, mein Vater erzog uns auch beide absolut gleich, mich mehr wie einen Jungen. So kamen wir beide auch früh zum Motorradrennsport. Zuerst Motocross auf Juniorbikes. Das mit dem 400-er Markenpokal stimmt, das war unser Einstieg auf die Rundstrecke und wir waren damals 14. Später fuhren wir Superbike und Langstreckenrennen."
"Die ganz fetten Dinger?" ich war Erstaunt.
"Ja. Seriennahe 1000cc Motorräder. Natürlich stark Modifiziert aber keine reinen Prototypen wie die MotoGP. Natürlich mit ordentlich Dampf."
"Jetzt wird mir so einiges klar. Meine 750-er ist also nur ein Spielzeug für dich?"
"Nein, das macht mir durchaus Spaß, genauso wie die 400-er heute. Das war Fun ohne Ende."
"Weil du mich und die Jungs verblasen hattest."
"Ja, das auch." sie grinste.
"Haruto und ich standen uns sehr nahe. Deutlich unterschied uns eigentlich nur unser Fahrstil. Bei Haruto ist es kurz Beschrieben: Sieg oder Sanka. Ein zweiter Platz war eine Niederlage. Ich hingegen wollte Spaß am fahren, wollte nur ein möglichst fehlerfreies Rennen abliefern. Je weniger Fehler man machte umso schneller ist man. Ankommen ist wichtig, vor allem Gesund! Ausfälle vermeiden. Lieber ein 8.Platz und die Punkte mitnehmen als Verletzt oder mit Defekt ausscheiden. Haruto machte spektakuläre Siege oder haarsträubende Abflüge. Trotzdem war ich in den Einzelwertungen bei Meisterschaften oft vor ihm obwohl mir die Siege fehlten. Ich punktete Beständig auf den vordersten Plätzen, hatte kaum Ausfälle oder Verletzungspausen. Mein Material hielt."
"Warum redest du immer in der Vergangenheit?"
"Ich habe Schuld auf mich geladen weil mein Bruder Haruto tödlich verunglückte und ich selbst und vor allem mein Vater gaben Mir die Schuld dafür. Das Team fuhr damals ausführliche geheime Probefahrten, sogenannte Longruns unter Rennbedingungen um das Material unter Wettkampfbedingungen zu Testen, um Wartungsintervalle festzulegen und die Crew auf den Rennstress vorzubereiten. Eben hätte ich den Stint übernehmen sollen, die nächsten etwa 2 Stunden fahren. Aus irgendeinem Grunde fuhr jedoch Haruto statt mir, man weiß nichtmal genau warum. Es gab gerade an der unpassendsten Stelle einen Bremsdefekt, das Versagen irgendeines lächerlichen Pfennigartikels, einen Impact an einer Hochgeschwindigkeitsstelle. Just an dieser Stelle kein Kiesbett, nur hier eine Mauer - mit schrecklichen Folgen."
Misaki senkte traurig den Kopf.
"Manche nennen so etwas Schicksal oder Bestimmung. Mein Vater war anderer Meinung: Die Schwester hatte den Bruder geopfert, sie wäre an dessen Stelle gewesen. Der Vorfall wurde zwar offiziell Untersucht, jedoch niemandem konnte irgendein Versäumnis nachgewiesen werden. So hielt man den Unfall bedeckt um keinesfalls einen Schatten auf das Team fallen zu Lassen. Hohe Sponsorengelder stehen auf dem Spiel. Ich fuhr die Saison unbemerkt für Haruto zu Ende. Bei Mannschaftsrennen fuhr ich Doppelstints, bei den Einzelrennen fuhr ich an seiner Stelle. Eigentlich recht erfolgreich nach Punkten. Niemand merkte es oder wollte es merken weil die großartigen Siege ausblieben. Am Ende der Saison hatte das Team trotzdem die Meisterschaft und damit den neuen Werksvertrag in der Tasche. Ich zerbrach unter dem Druck, genau in dieser Zeit lernte ich deinen Vater kennen."
"Das ist ja krass! Wie fühlst du dich heute damit?"
"Noch nie habe ich so offen mit jemandem darüber gesprochen. Bei dir Miky habe ich das Gefühl dass ich offen sein kann. Deinen Vater interessierte das nie wirklich." Misaki tätschelte meinen Oberarm.
"Ja, du kannst absolut sicher bei mir sein, ich schätze dich als Menschen sehr!"
"Jetzt wo alles auch räumlich weiter Weg ist geht es leichter. Ich erkenne dass es damals nicht mein Fehler war. Endlich kann ich wieder Leben. Niemand kennt mich, alle gehen mit mir offen um. Es ist sogar leichter als Ausländer gemieden zu werden als ständig an eine vermeintliche Schuld erinnert zu werden. Nur die Jungs waren heute ein wenig in ihrem Stolz gekränkt. Aber ich wollte einfach etwas Spaß haben, mich nicht wieder verstecken müssen."
Jetzt grinste ich. "Sie werden es überleben. Vielleicht senden sie dir ihre Psychiater-Rechnungen. Oder sie schrauben dir zwei Zündkerzen aus deiner 400-er raus zum Bremsen. Die Feuerklinge von Armin wirst du sicher auch nicht mehr bekommen, da stehen die Drahtfetzen seitlich aus dem Hinterreifen. Aber sonst bewundern sie dich eher."
"Du bewunderst mich auch? Das merke ich an deinen Blicken."
"Ja, du bist eine tolle Mischung. Eine echt schöne Frau und gleichzeitig der beste Kumpel. Wann hat man so etwas?"
"Miky, lass uns gehen, ich werde Sentimental!"
Interessiert sah ich zu wie Misaki ihre Beine mit dem engen Rock über die Mauer schwang und wieder Schritt aufnahm, als ich neben ihr lief hakte sie sich bei mir unter. Sie brauchte anscheinend jetzt den Kontakt, sie wollte nicht alleine sein.
Ebenfalls ungewohnt wie schnell man in Begleitung einer Frau wie Misaki in eine Disco eingelassen wird. Gucken können die Italiener. Wir tranken ein paar Cocktails, zum weiteren Reden mussten wir unsere Köpfe in der Lautstärke ziemlich eng aneinander halten. Dabei war ich leider immer wieder gezwungen in ihren von zwei harten Brüsten offen gehaltenen Ausschnitt zu schielen, was mich sehr beunruhigte.
Danach tanzten wir sehr lange. Sonst kümmert sich kaum ein Mädchen um mich. Wenn du mit einer solchen Frau am tanzen bist sehen dich plötzlich alle an. So nach dem Motto: Hey, was hat dieser Typ dass er ein solches Bunny bei sich hat? Nun, in meinem Falle ist es der Trauschein meines Vaters.
Mit fortschreitender Stunde wurde die Musik ruhiger, es wurden richtige Paartänze gespielt. Ein klein wenig war noch von meinen Tanzkursen in der Realschule im Hinterkopf, ich zeigte Misaki was ich noch zusammenkratzen konnte. Sie scheute keinerlei Körperkontakt. Es war einfach nur schön! Die Hände verschränkt, der andauernde Körperkontakt, das mit seinem gegenüber beschäftigen müssen, in ihren Ausschnitt schielen. Ehrlich, ich wollte das nicht! Etwas übersinnliches zwang mich ständig dazu!
Dazu ihre schönen Hände mit den langen gepflegten Fingernägeln in meiner Hand und die schlanke Hüfte in der Anderen, neidische und bewundernde Blicke von anderen Gästen. Wegen mir hätte das noch ewig so weiter gehen können!
Irgendwann muss Misaki kurz auf Toilette. Der Discjockey hatte uns die ganze Zeit über schon beobachtet, winkte mich nun zu sich heran, quatschte mich mit erhobener Stimme gegen die Lautstärke auf italienisch an. Als er merkte dass ich ihn nicht verstand probierte er es mit Deutsch:
"Gratuliere Kleiner! Ich hab ja schon viel gesehen hier, aber deine Alte ist echt Rattenscharf. Die tropft wie ein Kieslaster. Wenn du die heute nicht knallst dann kannst du nur noch schwul werden."
Ich war etwas Beleidigt wie abfällig er über Misaki sprach. Entgegnete trotzig:
"Das ist meine Stiefmutter!"
Der DJ lachte laut auf. "Offensichtlich nicht sehr ausgelastet die Arme?" Dann klopfte er mir beruhigend auf den Arm. "Nimm's leicht Junge, dann bleibt es ja in der Familie!" Sein fieses Lachen verdarb mir die Stimmung, ich drängelte mich durch die etwas statisch tanzende Masse wieder vom Tresen weg. Ein verstohlener Blick zum DJ, der typisch italienische Macho kicherte sich immer noch eins.
Dann kam Misaki auch schon wieder, die langen Haare sorgsam gerichtet und die Augen nachgezogen. Aber etwas war anders. Eigentlich die ganze Zeit hier drin schon. Ich konnte mir nicht erklären was genau, es schien als wäre eine Schranke zwischen mir und Misaki gefallen, eine neue Qualität der Beziehung erwacht. Alles wegen Vertrauen? Ohne Scheu hängte sie sich erneut um meinen Nacken und nahm den langsamen Tanz wieder auf, die Musik blieb zu dieser fortgeschrittenen Stunde ziemlich ruhig.
Der DJ machte in die Musik hinein eine Ansage: "Und hier liebe Gäste mein absoluter Lieblingssong für meine deutschen und thailändischen Gäste." Ich sah nochmal erschreckt zum Mischpult, er winkte mir und grinste dreckig. Thailand. woher sollte er es denn wissen? Ein ziemlich ruhiges, klassisch geprägtes Lied begann:
https://www.youtube.com/watch?v=9DSzGQVTTRs
Mit einer wehmütig anklagenden Violine. Dieses ging weit unter die Haut, da in der Disco auch die entsprechende Anlage die Klänge tief ins Gemüt torpedierte. Misaki sah mich an, ganz anders wie sonst. Sie sah mich nicht mehr als Stiefsohn an, sondern wie eine Frau einen Mann ansieht. Fordernd, frech, forschend.
Sie zog sich noch näher an mich, ihre harten Brüste drückten nun ziemlich fest gegen meine Rippen. Auch den letzten Sicherheitsabstand damit aufgegeben. Ihr Blick. ich konnte nicht ausweichen. Wir drehten uns langsam, sortierten eng am Boden unsere Beine, sie drückte ihr Becken fest gegen meine garnicht mehr so weichen Weichteile. Weglaufen? Nein. Bremsen? Warum? Sie wollte es so.
Meine Stiefmutter zog meinen Kopf nach unten, unendlich zärtlich drückte sie ihre Lippen auf meine. Ich erschrak zuerst furchtbar, erwiderte danach Scheu und Vorsichtig, wollte nur nichts Falsch machen. Mir wurde schwindelig.
Mein erster richtiger Kuß. Flaschendrehen auf Party's zählt nicht, das ist was anderes. Dann noch mit so einer Frau. Unter diesen etwas komplizierten familiären Verhältnissen. Wie sagte der Frechdachs: Es bleibt ja in der Familie! Und trotzdem: Es war unendlich schön, es ging tief ins Herz. Wenn ich vorher vielleicht schon immer etwas in Misaki verknallt war, mit diesem Moment war es anders. Ich liebte sie wirklich!
Der Kuß nahm kein Ende solange der schöne Song dauerte. Danach wurden wir etwas jäh erweckt, der DJ legte wieder flottere Musik auf.
"Miky, gehen wir? Ich bin Müde. Und morgen wollen wir früh los, wir müssen noch über die Alpen."
"Ja Misaki, lass uns gehen."
Sie nahm meine Hand und führte mich durch die nun wieder hopsende Menge, nochmal mussten wir am DJ vorbei. Misaki beachtete ihn nicht, ich sah verstohlen zum Tresen. Er applaudierte mir symbolisch, dazu wieder das teuflische Grinsen. Egal, wahrscheinlich sehe ich den eh nicht mehr wieder.
Wir gingen an der Seepromenade bei spärlicher Beleuchtung entlang zur Pension, laut tackerten ihre hohen spitzen Absätze in die Nacht. Meine Hand ließ sie nicht los, wir sprachen nicht. Ein warmer Wind umschmeichelte unsere durchgeschwitzten Leiber. Keinerlei Diskussion ob ich mit in ihr Zimmer käme, es war klar. Sie hätte wahrscheinlich auch meine Hand garnicht losgelassen?